Wechselunterricht aus Schülersicht

von Michael Sypien

Einblick in den Schulalltag des Berufsgrundschuljahres Agrarwirtschaft als einer der „privilegierten“ Klassen mit Wechselunterricht

Es ist Dienstag, Ende April 2021, 08:00 Uhr morgens.

Noch einmal durchatmen, Maske auf und rein ins Schulhaus. Hier geht es direkt nach der Tür weiter mit der allmorgendlichen Desinfektionsdusche (ja ok, ist vielleicht etwas übertrie­ben, aber mal im Ernst, wer hat so große Hände, dass er die ganze Menge braucht, welche sich bei einem Spendevorgang über die Handinnenfläche ergießt? Danach ein Blick auf den Raumverteilungsplan und ab ins Klassenzimmer. Auch hier gilt direkt nach der Tür erst einmal wieder Hände desinfizieren oder waschen, dann ab auf den Platz.

Gegen 8:10 Uhr kommt unsere gut gelaunte Klas­senlehrerin mit einem Paket voll mit CoV-19-Test-Equipment herein. Der erste prüfende Blick wandert zu den geschlossenen Fenstern und dem noch ausgeschalteten CO2-Messgerät. Beim Beseitigen dieser Missstände - Fenster auf, Gerät an - hageln bereits die ersten Fragen zum Verlauf der nächsten Schulwochen auf sie ein, so etwas wie: „Wissen Sie, ob unser Kurs in Kempten nächste Woche stattfindet?“, „Und wie ist es mit dem Kurs zwei Wochen später?“. Parallel zur Beantwortung der Fragen, die Sie mit Ihrem beliebten Satz: „Ich sehe mal in meine Glaskugel!“ startet, streift sie sich die Einmalhandschuhe über und beginnt an jeden Schüler, das aus sechs Einzelteilen bestehende Testset auszuteilen.

In der Zwischenzeit läuft die Flasche mit Desinfektionsmittel noch einmal durch die Reihen, denn Sie kennt Ihre Pappenheimer einfach zu gut - die Hälfte hat das Händewaschen/-desin­fizieren nach dem Betreten des Raumes nämlich vergessen.

Das Austeilen endet mit der Frage, ob jetzt auch jeder alle sechs Teile vor sich auf dem Tisch liegen hat, dann gibt Sie uns das Go: Wir stellen das Röhrchen mit der Pufferlösung in die Wäscheklammer und zie­hen den Deckel ab, packen die Testkassette aus und prüfen die Farbe der Kügelchen, die einem verrät, ob der Test verwendbar ist. Jetzt wird es ernst. Wir öffnen den Nasentupfer (aber bitte auf der richtigen Seite) und ziehen die Maske kurz runter, um uns den Tupfer, wie es die Anleitung verlangt, 2 cm tief in die Nase zu schieben und ca. viermal an der Nase­scheidewand, in jedem Nasenloch kreisen zu lassen. Ehrlich, habt ihr euch mal gefragt, wie das von vorne, also aus der Lehrerposition aussehen muss, wie sich eine Horde junger Leute in der Nase bohrt und wer weiß was zutage fördert? Nein, habt ihr nicht! Jetzt schon!

Nach dem die Maske wieder da sitzt, wo sie hingehört und der Tupfer unter Druck auf das Röhrchen in der Pufferlösung ca. 10 Umdrehungen bestritten hat, kommt die Tropfkappe da­rauf und man gibt vier Tropfen in den Schlitz der Testkassette und verschließt diese mit dem dafür vorhergesehenen Aufkleber. Noch einmal wird es spannend. Während unsere Lehrerin den Müll im extra Behälter für medizinischen Abfall einsammelt, schauen alle wie gebannt dem lila Balken zu, der ganz langsam hoch zum Buchstaben C wandert und dort eine Kon­trolllinie ausbildet, die einem anzeigt, dass der Test funktioniert hat.

In den folgenden 15 Minuten Wartezeit bis zur Auswertung des Tests geht es los mit dem Unterricht. Dieser startet meist mit der Ansage: „Holen Sie bitte die Aufgaben heraus, die Sie daheim im Distanzunterricht erledigen sollten!“ Daraufhin schwirren Fragen von der Klasse durch den Raum: „Wie hieß das Blatt?“, „Wie sieht es aus?“ und „Wann sollten wir das ma­chen?“. Nun wird panisch in den Unterlagen geblättert und nach neuen oder altbekannten Ausreden gesucht, wie z. B. „Ich habe das auf jeden Fall gemacht! Aber es liegt noch daheim auf dem Schreibtisch …“. Diese Aussage kommt nach vierwöchiger Anwendung bei unserer Lehrerin nicht mehr so gut an.

Nach geduldiger Beantwortung der Fragen und dem Anhören, der mehr oder weniger überzeu­genden Ausreden, folgt schließlich die gefürchtete Frage, wer die Aufgaben - aus welchen Gründen auch immer - nicht gemacht hat. Eine Meldung führt unvermeidlich zu einem Strich auf der Liste der nicht erledigten Arbeitsaufträge. Da fragt man sich natürlich, wann das Gal­genstrichmännchen wohl hängt und einem die eigene Faulheit in Form einer schlechten mündlichen Note ausgezahlt wird.

Genau in diesem Moment taucht in der Klassenzimmertür die vermisste Schülerin auf und entschuldigt sich halbherzig für die Verspätung, während sich die Züge unserer Lehrerin ver­dunkeln und sich Ihre Begeisterung, ob der Verspätung, in der Aufforderung Hände zu wa­schen widerspiegelt. Ihr ahnt es schon, sie muss ihren Unterricht noch einmal hintenanstel­len, um auch der Nachzüglerin das Testequipment auszuteilen.

Aber jetzt, jetzt legen wir mit der Verbesserung der zu Hause erledigten Aufgaben los, um 15 Minuten später mittendrin vom Gong und dem im Gang wartenden Lehrer der nächsten Stunde unterbrochen zu werden. Jetzt bricht bei unserer Lehrerin Hektik aus: Sachen zu­sammenpacken, Testergebnisse beim Einsammeln der Testkassetten überprüfen, diese im Anschluss noch in die Liste eintragen und eigentlich war da ja auch noch der Arbeitsauftrag, den Sie uns für morgen im Distanzunterricht mitgeben wollte … Aber naja, was soll‘s! Dann kommt der eben morgen über MS-Teams bei uns an und wird durch gelegentliches Aus­schlafen am darauffolgenden Tag im Distanzunterricht daheim erst um 10 Uhr morgens oder später wahrgenommen. Der restliche Schultag läuft fast wie vor Corona ab.

Wie es uns als „halbierte“ Klasse vor Ort mit zwei Tagen pro Woche in Präsenz geht? Trotz des gewissen Organisationsaufwandes und der Herausforderung, den Tag neben den Ablen­kungen daheim zu strukturieren: Gut! Denn wir dürfen im Gegensatz zu den zahlreichen an­deren SchülerInnen unserer Schule, die nicht als Abschlussklasse zählen, wenigstens für zwei Tage in die Schule kommen und können uns hier mit den Klassenkameraden, den Leh­rerInnen und dem unvermeidbaren Lernstoff auseinandersetzen. Das kann kein digitales An­gebot ersetzen!

Hier noch ein kleiner Tipp an die Galgenstrichmännchenkandidaten zur Schonung der Ner­ven unserer Lehrer/-innen und eurer Mitschüler/-innen: Macht euch wenigstens die Mühe, mal einen Blick auf den Stundenplan zu werfen und dann die entsprechenden Arbeitsaufträge einzu­packen! Verglichen mit dem Organisationsaufwand unserer Lehrkräfte, die immer den aktu­ellen Stand in vier Kleingruppen kennen müssen, ist dies doch das kleinere Übel.

Am Ende zählt, dass wir möglichst viel an Wissen aus dem Schuljahr mitnehmen können und als Schulgemeinschaft die Lage meistern.

Valerie Heimberger, AW 10
Schülerin des Berufsgrundschuljahres Agrarwirtschaft

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